GRIPPE IM URWALD
Das kleine, nur ca. 5.000 Menschen zählende Volk der Urarina lebt nicht mehr in isolierter Lage am Rio Chambira. Die Globalisierung macht auch vor dem Chambira nicht Halt.
Während der Kautschukzeit (um 1900), in der viele Indianer versklavt wurden, zogen sich die Urarina an die oberen Flussläufe zurück. Sie werden deshalb auch als „shimacos“ bezeichnet, was auf das spanische Wort cimarron zurückgeht, mit dem früher entlaufene Sklaven bezeichnet wurden. In noch früheren Zeiten vertrieben sie die Jesuiten, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch am Rio Chambira missionierten. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgten Missionierungsversuche durch das Instituto Linguistico de Verano. Ab 1940 ließen sich Siedler (Mestizen) in immer größerer Zahl am Rio Chambira nieder und begannen Ackerbau (Bananen, Palmherzen, usw.) zu betreiben und Rinder und Schweine zu züchten. Weiterhin kommen zunehmend Holzfäller und Holzhändler in ihr Gebiet, ebenso Erdölsucher. Seit einigen Jahren führt eine Erdölpipeline mitten durch ihr Gebiet; vor allem in kleinere Nebenflüsse wurden in der Vergangenheit giftige Abfälle eingeleitet, die bei der Erdölförderung entstanden. Das vergiftete Wasser führt zu Fischsterben und damit zu einer schlechteren Nahrungsversorgung der indigenen Bevölkerung, und auch zu Krankheiten. Wichtig ist außerdem die zunehmende Migration ( Holzfäller, Händler und sogar einige Touristen) in diesen abgelegenen Teil unserer Erde. Auch durch diese Menschen werden neue, für die Urarinas fremde Krankheitserreger eingeschleppt.
Ein Beispiel für eingeschleppte todbringende Krankheiten ist die Grippe durch von Iquitos aus startende Touristenschiffe. Die – meist US-amerikanischen – Touristen haben mitunter auch grippale Infekte. Während ihrer Besuche (Fotosafaris) in den Indianerdörfern an den kleinen Urwaldflüssen (z.B. Rio Chambira), verschleppen sie die Grippeviren und infizieren so die Dorfbevölkerung. Und für diese ist eine Grippe keine leichte Erkrankung. Für die Urarinas kann die Infektion mit „normalen“ Grippeviren den Tod bedeuten. Die „Spur“ der Touristenschiffe lässt sich so verfolgen – anhand von schlimmen Grippe-Epidemien, die sich bei Kindern und Alten nicht selten tödlich auswirkt! Ebenso wären hier sogenannte „Kinderkrankheiten“ wie Masen, Keuchhusten usw zu nennen. Weitere Ausführungen zu diesem Thema können der Veröffentlichung von Dr. med. R. Witzig, einem früher am Chambira forschenden Arzt und Epidemiologen des Center for Desease Control in Atlanta/USA, entnommen werden. Auch am Beispiel der am Rio Chambira schlimm grassierenden Malaria kann die seuchenverbreitende Rolle eindringender Mestizen und der damit einhergehenden Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse verdeutlicht werden.
Wenn die Urarinas weiterhin in Würde und Selbstbestimmung leben wollen, müssen sie sich auf die veränderten Bedingungen einstellen. Eine andere Wahl wird ihnen gar nicht gelassen. Denn noch weiter zurückziehen können sie sich nicht mehr. Dem von außen kommenden Druck sind die halbnomadisch lebenden Urarinas hilflos ausgesetzt. Ohne fremde Hilfe können sie in dieser Situation nicht überleben.
Auf Bitten der Urarinas hat der Freundeskreis Indianerhilfe deshalb 1998 begonnen, am Rio Chambira ein Basisgesundheitssystem aufzubauen. Einheimische, von ihrer Dorfgemeinschaft gewählte Urarinas werden von uns als Gesundheitshelfer (sogenannte Promotoes de Salud) in moderner Medizin und Hygiene ausgebildet – um mit diesen Methoden die eingeschleppten Krankheitserreger wirkungsvoll bekämpfen zu können. Nur so kann das Überleben dieses kleinen Volkes evtl. gesichert werden.